ESM-Vertrag – Die Fakten hinter einer Verschwörungstheorie
Geschrieben von Robert E. Justitz am 17.09.2012 in Eurokrise, Fakten, Klartext | Keine KommentareSeit Wochen ranken sich Gerüchte über die Auswirkungen des ESM-Vertrags auf Deutschland und somit auf den Steuerzahler. Kritiker, Euro-Skeptiker und Anhänger von Verschwörungstheorien warnen vor unkalkulierbaren Risiken bis hin zum Untergang des Euros. Natürlich ist der ESM-Vertrag noch nicht die Lösung aller Probleme: Die Redaktion von DSA-Worldnews möchte mit den hartnäckigsten Gerüchten aufräumen.
Verschörungstheorie 1:
Deutschland haftet unbegrenzt für alle Schuldenländer
Deutschland haftet zunächst für 190 des mit 700 Milliarden gezeichneten Stammkapitals des ESM-Vertrages. Grundlage für die Berechnung des deutschen Anteils ist ein gültiger Verteilungsschlüssel: Gemäß diesem gemeinsam beschlossenen Verteilungsschlüssels beträgt die deutsche Einlage 27 Prozent der Gesamteinlagen des ESM Vertrages.
Die Formulierung, die besagt, ESM Mitglieder seien unwiderruflich und uneingeschränkt verpflichtet, jede Summe zu zahlen, die der Geschäftsführende Direktor einfordert, ist etwas unglücklich verfasst.
Fakt ist:
Das Bundesverfassungsgericht hat vor Kurzem klargestellt, dass die Haftungssumme von 190 Milliarden Euro nicht ohne Zustimmung des Bundestages erhöht werden darf.
Diese Summe ist jedoch nicht für alle Zeiten bindend. Der Gouverneursrat kann eine Kapitalausstattung des ESM beantragen. Diese benötigt einen einstimmigen Beschluss. Somit muss auch Deutschland einer Kapitalerhöhung erst zustimmen. Hierzu muss eine Erlaubnis des Bundestages eingeholt werden.
Verschwörungstheorie 2
Verlust der Autonomie Deutschlands
Im Rat der EZB ist Deutschland ein gleichberechtigtes Mitglied. Die Stimme Deutschlands ist nicht mehr wert, als die der Stimme von Zentralbanken wirtschaftlich unbedeutenderer ESM-Mitglieder. So jedenfalls argumentieren Euro-Skeptiker – Deutschland könnte leicht überstimmt werden.
Fakt ist:
Das Regelwerk des ESM sieht einen differenzierten Abstimmungsmodus vor: Hilfsprogramme müssen grundsätzlich einstimmig beschlossen werden. Selbst im Notfall, bei dem der ESM-Vertrag keine Einstimmigkeit vorsieht, hat der deutsche Bundesfinanzminister de facto ein Vetorecht. Das Vetorecht beruht auf der Notwendigkeit einer 85-prozentigen Mehrheit. Da Deutschland über 27 Prozent des Stammkapitals verfügt, kann keine Entscheidung ohne eine deutsche Zustimmung beschlossen werden.
Verschwörungstheorie 3
Keine Kontrolle des ESM aufgrund von Immunität
Der Artikel 32 des ESM-Vertrages sichert dem Gouverneursrat, dem Geschäftsführenden Direktor sowie sonstigen Bediensteten eine weitreichende Immunität zu. Der ESM entziehe sich jeglicher Kontrolle und strafrechtlicher Verfolgung.
Fakt ist:
Eine derartige Regelung ist bei internationalen Finanzinstitutionen, wie zum Beispiel dem Internationalen Währungsfonds oder auch der Weltbank, durchaus üblich. Bei komplexen Vorgängen wie Umschuldungen sollen die Bediensteten vor Klagen geschützt werden. Es ist jedoch ein Mythos, dass der ESM keinerlei Kontrolle unterliegt! Die Vertreter nationaler Rechnungshöfe und der Europäische Rechnungshof beobachten den ESM sehr genau. Zudem verfügt der ESM über eine interne Revision und es findet eine Abschlussprüfung durch externe Abschlussprüfer statt.
Verschwörungstheorie 4
Krisenländer können weiterhin Misswirtschaft betreiben
Der Zweck des ESM ist der, Krisenländer vor einem Staatsbankrott zu schützen. Sobald das Vertrauen privater Investoren nicht mehr gegeben ist, greift der ESM. Krisenländer können dadurch ihre haushaltspolitische Disziplin vernachlässigen.
Fakt ist:
Ein sicherlich nahe liegender Gedanke. Hier greift allerdings der Fiskalpakt, in dem sich alle ESM-Mitglieder zu einer seriösen und nachhaltigen Haushaltspolitik verpflichten. Zudem sind sämtliche Hilfen aus dem ESM-Vertrag an konkrete Bedingungen geknüpft: Krisenländer erhalten nur gegen strenge Auflagen Hilfsgelder.
Ein evidentes Risiko liegt jedoch darin, dass bei Verweigerung von Hilfsgeldern aus dem ESM-Vertrag und eine daraus resultierende Staatspleite, weitreichende Folgen für die Stabilität der gesamten Euro-Zone bestehen.
Kommentar:
Haben Sie weitere Fragen zum ESM-Vertrag? Gerne möchten wir eine kontroverse Diskussion anregen oder auch weitere Kritikpunkte mit Ihnen erörtern. Ihre Meinung ist gefragt!
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